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Die Pfennig-Litteratur

Auszug

*** Leipzig, Anfang März. In der Nachmittagsstunde von drei bis vier Uhr versammelt eine neue Erscheinung, welche sich regelmäßig fast täglich vorn in der Grimmaischen Gasse unweit dem großen Markte vorfindet, eine Menge neugieriger Zuschauer. Wir befinden uns vor dem eleganten Gewölbe des Buchhändlers Bossange Père aus Paris. Ein kleines geschmakvolles Kabriolet, ein Einspänner und zweirädrig, wie sich von selbst versteht, hält dicht vor den steinernen Stiegen, welche an die Thüre des Ladens führen. Es ist dem Neide zum Aerger mit gelber Farbe bestrichen, das kleine Fuhrwerk, bedekt mit einem großen geflochtenen Korbe, der an der hintern Seite bequem verschlossen werden kan. Für einen Fuhrmann ist nicht gesorgt, sondern wir sehen einen Graukopf, in Schuhen, mit blauem Frak und feiner Wäsche, in seiner aufrechten und gewandten Haltung den Franzosen verrathend, den eingeschirrten stampfenden Fuchs kurz am Zügel halten und einen lächelnden erwartungsvollen Blik nach dem andern auf das Hintertheil des Wagens werfen. Eine Menge junger Leute reichen sich, wie die Maurer Bausteine, große Ballen gedrukten Papiers zu, welche sorgfältig von hinten in den gelben Korb verpakt werden. Wir wissen es schon, daß dis die neuen Nummern des Pfennig-Magazins sind, und finden es durch eine Inschrift am Korbe des Wagens noch weitläuftig bestätigt. In der That, das Pfennig-Magazin hat sich Wagen und Pferd angeschaft. Es fährt bei den hiesigen Buchhändlern vor, man springt herbei, um es bequem herauszuheben, und übergibt es dann den Kommissionairen , welche es bis in die verstektesten Winkel Deutschlands spediren. Der federleichte durchsichtige Wagenlenker immer voran, und einige Buchhalter, Hand­knechte und Lehrlinge in gewisser Entfernung hinterher. Alles blikt freundlich, die Hände werden mit Seligkeit gerieben; man sieht es diesen Trabanten an, daß es sich um Tausende von Exemplaren und um eben so viel Thaler handelt. Bossange Père  ist stolz auf seine Erfindung. Obschon er nicht ein deutsches Wort versteht, so pflegt er doch oft auf französisch zu sagen, er liebe die Deutschen, sie seyen nächst den Franzosen die erste Nation. Bossange Père vergleicht sich oft mit Napoleon, und behauptet etwas vollbracht zu haben, was selbst dem großen Kaiser nicht gelungen sey, eine unzertrennliche Allianz zwischen Frankreich und Deutschland. La librairie en Allemagne , sagt er oft, n’était jusqu’alors qu’une chimère: moi j’étais le pre­mier à montrer ce que c’est que d’avoir une idée. Mon magazin était une idée; mais une idée-vérité . Der stolze Mann sagt nicht zu viel, denn es handelt sich um eine Wahrheit von 50,000 Exemplaren, um einen aufgehaltenen Bankerott, um eine glänzende Zukunft, um eine Wahrheit, welche sich Pferd und Wagen hat anschaffen können. Baumgärtner ist dem Franzosen schnell auf dem Fuße gefolgt. Sein Heller-Magazin hat die Hälfte von der Wahrheit des Hrn. Bossange Père, das Sonntags-Magazin eines flamändischen Buchhändlers (Peters aus Brüssel) ein Drittel Wahrheit, ein Ungarischer (Otto Wigand) mit seinem National-Magazin etwa zwei Fünftel. Hr. Bossange Père hat diese Nachahmungen mit Gleichmuth ertragen, und wird, da täglich der Papierbedarf steigt, nach der Ostermesse wahrscheinlich mit seiner klingenden abgerundeten Vierviertels-Wahrheit nach Karlsruhe ziehen, woselbst die Lumpen aus der Schweiz, aus Frankreich und ganz Süddeutschland zusammenkommen, und die Papierfabrikation besser in Flor ist, als in Sachsen, Böhmen und der Lausiz , wo man die Lumpen braucht, um sich darein zu kleiden.  Es läßt sich kaum sagen, daß eine neue Unternehmung dieser Art ohne Fortgang wäre; denn es ist erstaunlich, von welcher Kauflust plözlich unser gutes, edles, geiziges Publikum angestekt ist. Doch sind inzwischen weit größere Schwierigkeiten eingetreten, die sich nur durch ansehnliche Fonds überwinden lassen. Druk und Stof finden sich, aber wenn schon das Papier kostspielig ist, so sind es noch mehr die Stöke zu den Bildern , welche nicht fehlen dürfen. Die Londoner Stöke sind schwer zu verschaffen, die Pariser besizt Bossange, und die Berliner Stöke, den Professor Gubitz an der Spize, laufen in ein ungeheures Geld. Man rechnet, daß ein freies ungefesseltes Vermögen von 8000 Thalern, sogleich auf den Tisch zählbar, dazu gehört, die Konkurrenz der schon blühenden Institute auszuhalten. Erwägt man nun, daß es sich um einen buchhändlerischen Umsaz einer Summe von mehr als 200,000 Thalern jährlich bei diesen neuen Erscheinungen handelt, so wäre es möglich, daß auch in Deutschland sich bald ein solcher Widerspruch gegen die Pfennigindustrie erheben würde, wie er jezt in England schon eingetroffen ist . Ansehnliche Buchhandlungen, wie z. B. Duncker und Humblot in Berlin, schiken alle Pfennig-Ankündigungen zurük, und vielleicht treten in der nächsten Messe einige störende Reibungen wegen der Pfennigfrage ein. Doch sind die deutschen Verhältnisse verschieden von den englischen. Denn in Deutschland ist die Pfennig-Litteratur, vom buchhändlerischen Standpunkte aus gesehen, keine Neuerung. Unsre Litteratur ist niemals zu hohen Preisen angeschlagen worden. Unsre Uebersezungswuth drükte den Werth der Originale herab. Die Gesezlosigkeit des Buchhandels brachte Anarchie und Verwirrung in einen Zweig der Industrie, der zwar immer republikanische Farbe haben wird, aber doch in ein regelmäßigeres System gebracht werden konnte, als es bisher der Fall war. Weil es außerdem an einem bestimmten Gepräge unserer Litteratur selbst fehlt, an einem sichtbaren Publikum, an Autoren, welche vom Enthusiasmus empfangen würden, so war die nächste Folge eine solche Werthlosigkeit der in Deutschland aufgestapelten Papiermasse, daß eine Opposition gegen die Pfennig-Litteratur am wenigsten behaupten kan, die Preise der Litteratur seyen bedroht. Wir wissen ja längst, daß der beste Fortgang eines Buches in Deutschland darin liegt, es so wohlfeil als möglich zu machen. Ein Schulbuch muß schon halb wie Makulatur gerechnet werden, eine Unterhaltungsschrift von drei Bänden ist schwerfällig in unsern Augen und findet keinen Käufer. Deshalb kan der Widerspruch des Buchhandels gegen die Neuerung einzig auf den Aerger zurükkommen, daß einzelne Unternehmer, weiß Gott durch welchen Zufall, einen so glüklichen Treffer gehabt haben. Etwas Anderes ist es um die Gefahr, von welcher sich die Autoren durch die Pfennig-Litteratur bedroht glauben. Die Klagen derselben möchten auf Folgendes zurükkommen: Der Inhalt der neuen wohlfeilen Litteratur be- steht zum kleinsten Theile aus Abdrüken angemessener Passagen in Originalwerken, zum größten Theile aus Uebersezungen der fremden Blätter. Es ist eine Litteratur, welche ohne Reaktion auf die deutsche Kunst oder Gelehrsamkeit bleibt, und durch die gedankenlose Hand eines Uebersezers schnell hergestellt ist. Dazu kommen vor allen Dingen zwei Umstände: Erstens wird die Kauflust des Publikums in demselben Augenblike, wo sie erregt ist, wieder verschleudert; denn auf die Länge sieht es ein, daß eine Menge kleiner Geldsteuern zulezt gleichfalls eine große Summe bilden, daß es sein Vermögen an eine gehaltlose, durch ihre Unbeholfenheit nur lästige Litteratur verschwendet hat, und es wird in der Folge nur desto karger werden, wenn es sich um die Beförderung wahrhaft nüzlicher patriotischer Zweke handelt. Sodann tritt namentlich für den Unterhaltungsschriftsteller eine noch tiefer liegende Besorgniß ein. Die Masse regellos zusammengeworfener realistischer Kuriositäten zieht das Publikum von den Schöpfungen der Phantasie ab, es erkaltet die Theilnahme für jene Leistungen, welche sowohl die Einbildungskraft angenehm beschäftigen, als auch das moralische Gefühl veredeln. Jener unsystematische Realismus ist Allen schädlich, selbst der Wissenschaft, in deren Interesse eine planlose Zusammenwürfelung ihrer Resultate niemals liegen wird. – Wir gestehen diesen Klagen keine vollkommene Wahrheit zu; denn sie halten sich auf einer nur oberflächlichen Ansicht der Verhältnisse, und greifen der Zukunft vor, welche vielleicht andre Folgen des einreißenden scheinbaren Verderbens aufweisen dürfte. Vor allen Dingen darf nicht ohne Anerkennung bleiben der große Werth, den die Verbreitung gemeinnüziger Kenntnisse hat. Es ist zwar beschämend, daß über die gebildetsten Völker plözlich die Sucht gekommen ist, sich zu unterrichten, allein es handelt sich um Thatsachen aus der Geschichte, dem Völkerleben, der Natur, deren Kenntniß gerade in der gebildeten Welt nur zu oft vermißt wird.