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Aus Empfangszimmern. Erinnerungen

Auszug

Wenn ich mein vergangenes Leben überblicke, so erinnere ich mich, die verhängnißvolle weiße Frühmorgens-Halsbinde nicht selten umgelegt zu haben. Allerdings viel seltener als Tausende, die geradezu einen nicht unwesentlichen Theil ihres Lebens in Vorgemächern zubrachten. Die verlorensten Stunden des Lebens sind diese Viertel-, halben und ganzen Stunden, die man zuweilen in totaler Gedankenlosigkeit, rein ein Sklave eines anderen, in bunte Livree gekleideten impertinenten Sklaven, eines anmeldenden Lakaien oder Kammerdieners, im Vorgemach eines Empfangssalons zubringen muß, bis an uns die Reihe kommt. Es gibt jedoch Charaktere, die sich im Antichambre gefallen. Manche unter ihnen haben auch Nutzen davon gehabt. Nicht daß die Großen ihren Bittanliegen deßhalb willfahren, weil sie derselben endlich überdrüssig wurden; nein, die Großen lieben in der That die Demüthigung der Kleinen. Diese gebückten Rücken, diese verlegenen Mienen, diese stotternden Anreden, mit denen man durch eine geöffnete Flügelthür zu einem Fürsten, einem Minister schreitet, haben diese vollkommen gern. Die Großen wollen es doch wissen, doch fühlen, warum man sie die Großen der Erde nennt. „Ah, bester Professor, erinnern Sie sich denn endlich auch wieder einmal meiner?“ „Willkommen, bester Herr Lilienthal, Sie wieder in der Residenz?“ - „Ah, sieh da, sieh da Herr v. Schweifwedel, wollen Sie sich nach meinem Befinden erkundigen -?“ Diese devoten Besucher erreichen gewöhnlich ihre Zwecke. Wenn nicht diesmal und auch noch nicht das nächstemal, so doch gewiß nach einem halben Jahre, besonders hinter der gebührend angezeigten Erinnerung an den glücklich herangekommenen Namens- oder Geburtstag ihres hohen Gönners.