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Das Kastanienwäldchen in Berlin

Auszug

Das „Kastanienwäldchen“ hieß ehedem der „Kastanienwald“. Das kosende Diminutiv ist erst die Folge einer bedeutenden Lichtung seiner ehrwürdigen, alten Stämme. Prinz Heinrich Königliche Hoheit unterstützte die Baulust seines königlichen Bruders. Er legte seinen kolossalen Bau, ehedem „Prinz Heinrich’s Palais“ genannt, in einer noch mit Wald und Wiese bestandenen Gegend an. Als der höchstselige Prinz gestorben, ein Sohn seines Bruders Ferdinand, der ebenfalls Prinz Heinrich hieß, Erbe dieses mit kasernenartiger Regelmäßigkeit, aber kühn und nicht ohne Geschmack angelegten Palastes geworden war, überließ der neue Besitzer, ein von allerlei Räthseln umgebener, für Preußens Geschichte mythisch gewordener Herr, der lebenslang in Rom lebte und dort gestorben ist, sein Wohnhaus dem Staate zur Anlegung der neuen Universität. Ihm selbst verblieb nur ein dunkler Winkel im rechten Flügel, dicht der Akademie der Wissenschaften benachbart, wo einige alte Diener und Pferde, die in Deutschland zurückgeblieben, bis an ihr Ende das Gnadenbrod genossen. Man hatte immer die Sorge, der geheimnißvolle römische Aufenthalt dieses Prinzen würde mit einem Uebertritt zur alleinseligmachenden Kirche endigen. Doch ist Letzteres nicht erfolgt. Die Entfernung von Berlin hatte nur Gründe, die in einem persönlichen Zerwürfniß mit dem damaligen Chef des Königlichen Hauses gesucht wurden, sogar eine schauerliche Degengeschichte wurde erzählt und in dem damaligen düstern Winkel des rechten Flügels seines Hauses konnte man in der That Alles glauben, was nach Schiller’s „Geisterseher“ klang. Wenn das ganze Palais und der dazu gehörige Park, eben unser „Kastanienwäldchen“, von einer hohen Mauer umgeben war, so war die mehrgenannte Stelle beinahe so unheimlich wie der Eingang zu einer Freimaurerloge.

Oder liegt für mich das Unheimliche dieser Erinnerungen nur in den Schwierigkeiten, unter denen, unmittelbar nach dem Uebergang dieser Räume vom Hufe gewöhnlicher Wagen- und Reitpferde an den flügelbeschwingten Huf des Pegasus, gerade das hier in die Mauer einlassende Thor von dem zurückgebliebenen Dienstpersonal des grollenden Prinzen bewacht wurde -? Der Erzähler nämlich, geboren im dicht nebenan liegenden Akademiegebäude, kletterte lieber von der Seite des „Bauhofes“ aus über die Mauer, als daß er die immer im bedenklichen Tänzeln begriffenen Peitschen der Prinz Heinrich’schen Leibkutscher und Vorreiter durch Beschreiten des ihnen gehörenden Terrains herausgefordert hätte. Außerdem gab es noch eine andere drohende Gewalt im Bereich des alten „Kastanienwaldes“. Ein mächtiger Rohrstock, den die eiserne Faust des Universitätspedells, eines alten Kriegers noch aus den Zeiten der „geworbenen Regimenter“, schwang. So gefahrvoll sah es damals aus auf einem Boden, den jetzt mit dem verdeckten Marktkorb die leicht- geschürzte Grisette durchhüpft, die Bassermann’sche Gestalt zum Ausruhen auf einer der daselbst zur behaglichen Siesta einladenden Bänke zu nehmen würdigt, der „Schutzmann“ eher auf den zwitschernden Vogel in den Bäumen, als auf die Signalpfeife eines Collegen hört, die Bonnen den Kindersegen des Dorotheenstadtviertels laufen lehren und die Studenten, künftige Vaterfreuden ahnend, an der zuweilen schon schwammigen Baumrinde der alten Bäume sogar die Asche ihrer Cigarren abstreifen oder Rendezvous geben. Man bestreite noch den Fortschritt der Zeit.