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Der Zauberer von Rom. Erstes Buch

Auszug

Und nun, da sitzt sie denn, die „lange Latte“, die „Aufgespillerte“ , die „Dreege“ (Magere), mit ihren um den kleinen Kopf gewundenen schwarzen Zöpfen, ganz das Abbild ihrer Mutter, einer Feldwebeltochter, deren Vater in der Residenz ein silbernes Porteépée hatte tragen dürfen und der sich unter dem „dummen Bauernvolk“ als civilversorgter Kreissteueramtscontrolschreibereiassistent einen Steuerrath selbst gedünkt hatte. Trotzig und scheu, ängstlich und fest, nicht mit Absicht, sondern von Natur so gemischt, hockte das halbreife Mädchen in einem verwaschenen ehemals röthlich gewesenen Kattunkleide, das ihr schon lange zu kurz und zu eng geworden war, in der Ecke der Kalesche, die langsam die Anhöhen hinaufschleicht, geführt von einem halbwüchsigen Burschen, der die Gäule – sie waren gemiethete, wie der Wagen – schonen soll.

Die alte Dame, die ihr zuspricht sich nicht zu fürchten, sondern der glänzendsten und besten Schicksale gewiß zu sein, ist einem „Nachtmahr“ nicht unähnlich. Wenigstens hat sie eine Nase, die in einer beständigen Neigung scheint auf das vorgestreckte Kinn einen zärtlichen Kuß zu drücken. Zwischendurch ist nach den allgemeinen Gesetzen der Natur, insoweit sie sich auf die Bildung eines menschlichen Antlitzes erstrecken, bei dieser edeln Frau ein Mund anzunehmen; doch suchte man vergebens nach etwas, was wie zwei Lippen ausgesehen hätte. Sind wirklich die Versinnlichungen solcher Begriffe zwischen der liebevollen Nasen- und Kinnbegegnung der fremden Dame vorhanden, so preßt sie doch die glückliche Inhaberin derselben so zusammen, daß sie nach oben in der Nase, nach unten im Kinn gleichsam mit aufgegangen scheinen. Versucht die Dame ferner, was sie oft thut, über die Oeffnung, die man Mund nennt, ein Lächeln zu zaubern, so sieht man einige Zähne, die wie die einsamen, geköpften Weidenstumpfe an den Bächlein standen, die man hier zu passiren hatte. Die Sprache der Dame ist hochdeutsch, soweit ein gewisses Röcheln und Schnurren unartikulirter Zwischentöne es erkennen läßt, sonst sogar was man gewählt nennt und „nicht frei von Bildung“. Leider kommt diese Sprache aber so seltsam zu Gehör, als wenn jeder Satz sich in den innern Gängen der Brust verliert. Wie die herabgelassene Eimerkette eines großen Ziehbrunnens verrollten die hübschesten Anfänge ihrer Reden für das aufmerksame Ohr des sie zuweilen ebenso unheimlich anschielenden Kindes in dunkle und unverständliche Abgründe.