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Maha Guru. Geschichte eines Gottes. Erster Theil

Auszug

Ein lustwandelnder Gott! Das ist eine Scene aus den ersten Tagen der Schöpfung. Freudig müssen dem Herrn der Welten die Augen geglänzt haben, als sein erstes Meisterstück vollendet vor ihm lag. Damals, als sein Bart über den vielen Kummer, den ihm die Erde verursacht hat, noch nicht grau geworden war, oder, wie die Juden und Heiden lehren, als die Götter noch Wohlgefallen hatten an den Töchtern dieser Erde, gingen sie wohl unter den Bäumen und labten ihr Auge an den Blüthen und Früchten, die an den Zweigen herunterhingen. Die Weiber kamen dann oft zu ihren Männern und die Jungfrauen zu ihren Vätern, wonnetrunken, daß sie hinter einem blühenden Gesträuch einen Gott erblickt hatten, oder daß er ihnen auf einem grünen Wiesenplan begegnet, sie mit kosenden Worten verführt, und in einer heimlichen Grotte unsterblicher Umarmungen gewürdigt habe. Die Vä- ter und Männer jauchzten über diese Botschaften freudig auf, errichteten einen Altar und opferten Brandopfer des Dankes und der Anbetung. Die Söhne und Enkel aber wuchsen heran, und ragten mächtig im Volke als unverwundbare Helden hervor, beschützten und vertheidigten Troja, stahlen das goldene Vließ, gründeten Städte und Königreiche, und säuberten die Erde von giftigen Ungethümen. Das waren die alten Götter und ihre lustwandelnden Spaziergänge. Die neuen Götter sind alt und mürrisch; sie legen keine Sorgfalt mehr auf ihren Bart, seitdem er grau geworden ist, sie leiden an Hypochondrie und scheuen das Tagslicht. Die Menschen haben sich auch längst daran gewöhnt, sie auf ihren Ausfahrten nicht mehr zu sehen. Denn als ein Unglück, der Tod, damit verknüpft war, daß man einen Gott erblickt hatte, da hatte man auch das Auge für diese Erscheinung verloren, und seitdem sind die Götter nicht mehr von Angesicht geschaut worden. Aber sollten sie nicht zuweilen noch auf die Erde herabsteigen, und sich in den Räumen, die sie geschaffen, ergehen? Es gibt Augenblicke, im Leben des Alls, da man an eine solche göttliche Erholung glauben möchte. Aber ach, daß sie immer seltener werden! Die Räder der alten Maschine rosten immer mehr ein; wir hören die schreienden Töne, wenn sie einmal heftiger in Bewegung gesetzt werden. Das große Weltenauge wird je älter, je schwächer. Es wird noch dahin kommen, daß sich das Auge der Vorsehung einer Brille bedienen muß. Die große Schlange, deren Ring die Welt umgürtet, häutet sich nur noch mit den größten Anstrengungen, und der Erdball hat auf dem Rücken der Schildkröte, die ihn trägt, sehr tiefe Eindrücke gemacht. Schon seit vielen Jahren sehen wir Gott in der größten Arbeit, die Vorsehung hat alle Hände voll zu thun, und das Amt der Gerechtigkeit ist wegen überhäufter Geschäfte gänzlich den Richtern der Erde überlassen worden. Wie ist das auch anders möglich? Die alten Götter wechselten unter einander ab, und wer nicht die Wache hatte, ging auf die Erde zur Erheiterung, die ihm der langweilige Olymp nicht gewähren konnte. Wir haben alle Sorgen des Weltregimentes auf einen einzigen Gott übertragen: wann kann er Zeit finden, fertig zu werden und ein Stündchen der Erholung zu widmen! Darum leben wir auch ein Leben, so traurig, so umwölkt, während unsre Vorfahren sich im Glanz ihrer Götter sonnen konnten! Wann werden wir wieder die Geister der Natur in freudiger Aufregung sehen, weil ihnen der Besuch des Höchsten angekündigt ist? Wann wird meine Seele wieder untertauchen in die ganze, volle, wonnige Lust einer dämmernden Mondnacht? Und wann wird an das entzückte Ohr der Wonneschauer klingen, wie der Gott lustwandelnd unter den Zweigen vorüberzieht?