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Vierzig Jahre von Karl von Holtei

Auszug

Der Schauplatz dieser beiden ersten Bände ist hauptsächlich Schlesien, die Zeit eine vielbewegte. Die drolligen Anekdoten, die Herr von Holtei aus seiner Kinderzeit mittheilt, stehen mit Zeitereignissen und historischen Zuständen in Verbindung, zu deren Kenntniß uns jeder Beitrag willkommen ist. Preußens Unglück, Frankreich auf fremdem Boden, der Durchzug nach Rußland, die Rückkehr, die Erhebung des Vaterlandes, die Rüstungen, der Volksgeist vor und nach den Tagen des Sieges, die Stimmung der gesellschaftlichen Stände, der Frauen, alle diese hochwichtigen Thatsachen finden sich zwischen den Naschwerk- und Spielzeugsgeschichten wieder. Die Schilderung jener unglaublichen Gewaltthätigkeiten, die sich die Hessen, Baiern und Würtemberger in Schlesien erlaubten, Deutsche gegen Deutsche, verdient in den weitesten Kreisen eben so bekannt gemacht zu werden, wie jene würdelose Gesinnung so unzähliger Frauen, die in jenen Tagen der Schmach sich mit Preisgebung ihres Familienglückes den galanteren Siegern in die Arme warfen. Zum Sittenspiegel der Gegenwart, als Lehre für jede mögliche Zukunft verdienten die Beispiele Bd. 1 S. 79 die weiteste Verbreitung. Der junge Taugenichts, für den die Schule nur da war, um sie zu schwänzen, erwarb sich bei seinem Herumdämmern auf verbotenen Wegen sehr früh einen schärferen Blick für Lebensverhältnisse, als man ihn bei Knaben seines Alters findet. Er beobachtete mehr, als was er benennen konnte. Vielleicht ein Glück für ihn, daß ihn seine nur für die Bühne entzündliche Phantasie von allem Brüten über andere Dinge abzog. Dem breslauer Theater gehörte seine ganze Seele. Er berichtet uns über eine Bühne, der damals Ludwig Devrient angehörte, er erzählt die anziehendsten Einzelheiten, bis diese Partie von seinem eigenen „Antheil an der Weltgeschichte“, wie Göthe sagen würde, unterbrochen wird, den Marsch als Freiwilliger von 1815 nach Waterloo nicht, sondern nur nach Quedlinburg, wo sich diese jugendliche Reserve der Vaterlandsvertheidigung auflös’te. Die Freundschaft, die Herr von Holtei bald darauf mit Karl Seydelmann und August Lewald schloß, führte ihn in die Theaterlaufbahn zurück, deren Rosen- und Dornenkränzen wahrscheinlich die noch rückständigen Bände überwiegend gewidmet sein werden.

Ein großer Stylkünstler war Herr von Holtei nie. Seine Darstellung tritt etwas im Schlafrock auf. Auch könnte seine Neigung zu Betrachtungen selbst da wortkarger sein, wo diese Betrachtungen an und für sich seinem Herzen Ehre machen. Die Uebergänge vom Humor zu Gedankenstrichen und Ausrufungszeichen kommen zu oft vor. Die Formel: Das ist das Leben! Das ist der Mensch! läßt sich zwar mannigfach umschreiben, aber Herr von Holtei ist von ihrer unläugbaren Wahrheit so ergriffen, daß er sie immer in ihrer ganzen nackten Einfachheit, und deßhalb zu oft, wiedergibt. Er übernimmt in seinem Lebensdrama zu oft die Rolle des Chors und gefällt sich in Zwischenreden, die er füglich dem Leser hätte überlassen können.