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Vom Berliner Büchertisch

Auszug

Man hört noch oft, besonders von gewissen alten Damen, darüber klagen daß Berlin keine Conversation mehr habe. Der "Salon," der einfache Thee-Abend mit einem gemäßigten Streit über den letzten Urania-Jahrgang, ist verschwunden! Wo man jetzt nicht bei einer Abend-Einladung sogleich beim Eintritt den Duft des späteren warmen Soupers aus der Küche heraus einathmet, wird diesem materiellen Zeitalter nicht wohl. In Berlin hätte noch Ludmilla Assing die Mittel gehabt etwas ähnliches zu schaffen wie die bureaux d'esprit der Vergangenheit, oder Prinz Georg. Aber jene hat sich an die italienische Nation verheirathet, dieser hat nicht den Muth, wie Prinz Louis Ferdinand, mit den Usancen seines Hauses zu brechen. So gehen denn eine Menge "schöne Seelen" in Berlin trostlos in der Irre, und suchen, wie Gräfin Hahn sonst den "Rechten," ihrerseits jetzt wenigstens einen jour fixe , den Frau v. H. oder Gräfin B. des Winters anzusetzen pflegt, wo "empfangen" wird. Beim Maler B. waren die Stelldichein, wie sie nur bei einem berühmten Schlachtenmaler sein konnten, von Civil und Militär, Künstlern und Officieren gemischt. Die Absicht war edel; die Gegensätze begegnen sich wenigstens, Bekanntschaften können vermittelt werden, die Interessen und die Bildung der Menschen sich näher bringen. Aber an elektrische Strömungen ist dabei nicht zu denken. Die Erfahrung welche man über die Bildung, namentlich der Frauenwelt, in Berlin macht, ist entsetzlich. Durch die Herrschaft des Luxus, der Toilette und der von oben kommenden nichtigen und leeren Anregung sind die Frauen größtentheils bis zur Gewöhnlichkeit verflacht.

Fragt man nach der eigentlichen Religion der hiesigen Bildung, so dürften jetzt die Anhänger Buddha's in unserer gebildeten Welt überwiegend sein. Ist bei ihnen als "Reizschwelle" auch nur die Cigarre vorhanden oder bei den Frauen die Wagner'sche Musik - alles soll bei uns jetzt "Pessimismus" sein, Lebensqual, Unerträglichkeit des Daseins. Und wunderbar, wie der Weltgeist für sein Fortschreiten zu sorgen weiß! Dem Nationalliberalismus zufolge befinden wir uns, wenigstens in Deutschland, in der Epoche der vollkommensten Zustände die sich denken lassen, bis auf einige wenige Gesetze, die noch unsere Gesetzesfabricanten in Petto haben - und unter ihren Augen muß diese immer mehr um sich greifende Bewegung entstehen, die alles Irdische, also mit der Zeit doch auch die Institutionen im "neuen Reich," unvollkommen, lückenhaft, den freien Willen lähmend u. s. w. findet! Die freie Discussion bricht sich Bahn von Punkten aus wo man die "Reizschwelle" am wenigsten voraussetzte.