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Zwei berliner Goethe-Vorlesungen

Auszug

Wir hätten wol von einem an dem Werth und der Bedeutung der neuern Literatur vorzugsweise interessirten Autor vorausgesetzt, daß sich seine Selbständigkeit nicht den Extremen des fast maniakal gewordenen Goethe- und Schiller-Cultus angeschlossen oder dem ästhetischen Berlinerthum seine eigene Lebenswahrheit geopfert hätte. Gerade Auerbach, einem ersten Vertreter der Erzählungskunst, würde es angestanden haben, offen zu bekennen, daß bei unsern Classikern, vielleicht Wieland ausgenommen, von Kunst der Darstellung im höchsten Grade, von eigentlicher Erzählungskunst aber wenig die Rede sein könne. Diese neuaufgefundene alte Kunst des Homer, Virgil, der orientalischen Literatur gehört der neuern und neuesten Zeit an. Goethe erzählte anschaulich und fesselnd, meist aber doch nur, wenn er seine eigenen Erlebnisse wiedergab, wie in den Partieen des „Wilhelm Meister“, die Reproductionen seiner eigenen Lebenserfahrung sind. Sobald der stofflich interessante Inhalt bei ihm aufhörte, reichte seine „Erzählungskunst“ nicht immer aus, auf alle Fälle zu unterhalten. „Achillëis“, „Wanderjahre“, der zweite Theil des „Faust“ beweisen keine besondere Pflege der Erzählungskunst. Die Kunst der Erzählung ist so erst durch unsere spätern Entwickelungen, so mit den Romantikern und deren Nachfolgern wieder aufgekommen, daß man bedauern muß, den berühmten Redner mühsam Beweise aufsuchen zu sehen für eine Behauptung, in welcher seine erste freudige Wallung, einen Redestoff für Berlin wie es ist gefunden zu haben, sich in einem Irrthum befand, den er bereits im Lauf seines Vortrags erkannt zu haben scheint; denn seine Beweisführung schöpft keineswegs aus dem Vollen, sondern nestelt eine kleine Beobachtung an die andere. Der Eindruck ist um so peinlicher, je weniger sich der naive und immer wohlmeinende Sinn des Redners verleugnet.