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Goethe und Gervinus über Béranger

Auszug

Goethe sagt bei Eckermann: „Sowie der Dichter politisch wirken will, muß er sich einer Partei hingeben; und sowie er dieses thut, ist er als Poet verloren; er muß seinem freien Geiste, seinem unbefangenen Ueberblick Lebewohl sagen und dagegen die Kappe der Bornirtheit und des blinden Hasses über die Ohren ziehen.“

Wie dieser Satz Wahres und Falsches zu gleicher Zeit enthält, beweist Goethe selbst durch seine Verehrung vor – Béranger. Er nannte Béranger eine „durchaus glücklich begabte Natur, fest in sich selbst begründet, wie aus sich selbst entwickelt und durchaus mit sich selbst in Harmonie.“ Er fährt fort, Béranger hätte zwar in verschiedenen bedenklichen Epochen nach den Stimmungen, Wünschen und Bedürfnissen des Volks hingehorcht, allein dies hätte ihn nur in sich selbst befestigt, da sein eigenes Innere mit dem des Volks in Harmonie gestanden; nie hätte es ihn verleitet, etwas Anderes auszusprechen, als was bereits in seinem eigenen Herzen lebte. Ueberdies lobte Goethe Béranger’s politische Lieder darum, weil in ihnen nichts aus der Luft gegriffen, nichts von blos imaginären Interessen, sondern ihre Gegenstände immer bedeutend sind. Die Bewunderung Napoleon’s und das Zurückdenken an seine großen Waffenthaten; dann der Haß gegen die Herrschaft der Pfaffen und gegen die mit den Jesuiten wieder einzubrechen drohende Finsterniß: „das sind denn doch Dinge, denen man wol seine vollständige Zustimmung nicht versagen kann.“ Nächst dem Stoff ist es ihm dann auch die Form , die meisterhafte Behandlung, die innere Abrundung, der Witz, der Geist, die Ironie und Persiflage, verbunden mit Herzlichkeit, Naivetät und Grazie, das Volksmundgerechte bei Erhebung über das Niveau des Gewöhnlichen, was Goethe zum Bewunderer Béranger’s macht. Die große Wirkung Béranger’s leitet er nicht nur aus den gepriesenen Eigenschaften, sondern ganz richtig auch daraus ab, daß Paris Frankreich ist. „Alle bedeutenden Interessen seines großen Vaterlands concentriren sich in der Hauptstadt und haben dort ihr eigentliches Leben und ihren Widerhall. Auch ist er in den meisten seiner politischen Lieder keineswegs als bloßes Organ einer einzelnen Partei zu betrachten, vielmehr sind die Dinge, denen er entgegenwirkt, größtentheils von so allgemein nationalem Interesse, daß der Dichter fast immer als große Volksstimme vernommen wird.“ (Vergl. Eckermann’s „Gespräche“, III.)