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Tendenzpoesie

Auszug

Mit ein Grund, warum bei uns nach einer oft gewaltigen Aufregung der Geister, wenn es sich um Ideen und Gesinnungen handelt, plötzlich eine Erschlaffung eintreten kann, als wäre wieder möglich, sich in das Alltäglichste zu schicken, liegt in der unerledigten Frage von der Tendenzpoesie .

Die Tendenzpoesie sollte recht eigentlich die Poesie des 19. Jahrhunderts genannt werden. Sie geht von der erwiesenen Abgeschlossenheit gewisser großer Literaturperioden aus; sie sucht weder die Kränze eines Homer noch die eines Shakspeare; sie anerkennt, daß im Gebiete der Aesthetik fast für jede ihrer Gattungen mustergültige und der Nachahmung unzugängliche Werke vorhanden sind; sie bedient sich poetischer Formen nur dann, wenn die Phantasie sich zur Bundesgenossin irgend eines mehr oder minder auf die Lage der Menschheit bezüglichen Gedankens macht. Und genau genommen hat die Poesie ihre wahre Bedeutung zu allen Zeiten in einer ähnlichen äußern Zweckbestimmung gefunden. Nur galten nicht immer diejenigen Ideen, die jetzt die Menschheit regieren, als die vorherrschenden. Die bewegenden Ideen, die uns jetzt in der Religion und im Staate liegen, lagen der Welt sonst in der Sitte, der Gesellschaft und der allgemeinen Bildung.