Zum Gedächtniß Wilhelm Härings
Auszug
Wenn die „Allg. Ztg.“, dießmal später kommend als andere Organe der Oeffentlichkeit, ihren Nachruf nicht ganz in dem Ton einer bloßen Trauerrede am Grabe hält, sondern persönlicher auf den Verstorbenen eingeht, so wolle man darin ein Bestreben erblicken uns das Bild des Dahingegangenen recht nahe zu rücken. Schon die Wendung dieser Nachrufe, daß der Tod den Unglücklichen, der fast fünfzehn Jahre in geistiger und körperlicher Paralyse gelebt hatte, „von seinen Leiden erlöste“, ist nicht vollkommen zutreffend. Die liebevollste Hingebung einer erst in spätern Jahren geheiratheten Gattin, einer gebornen Engländerin, die Pflege derselben, die an Geduld ihres gleichen suchte, diese war es die erlöst wurde. Der Gegenstand eines bewunderungswürdigen Cultus der Liebe selbst fühlte kaum sein Leid in ganzer Größe. Die Stunden, die Tage, die Jahre schwanden an dem Beklagenswerthen in seinem Rollsessel gleichmäßig dahin. Er glaubte die volle Klarheit seiner Ideen zu besitzen und nur am Aussprechen derselben verhindert zu sein. Eine in Westermanns „Monatsheften“ gegebene photographische Abbildung der äußern Erscheinung Härings in den Tagen seines Leidens zeigt einen - lachenden Demokrit, der der Welt gegenüber sein besseres Theil gefunden zu haben scheint! In der That gibt das Bild den vollen Gegensatz der geistesklaren Zeit des edlen Todten, wo seine Mienen in der Regel den Ausdruck der Besorgniß, des ängstlich aufgeregten Beschäftigtseins durch die Zeit, des bänglichen Erwartens düsterer öffentlicher Erlebnisse trugen.
Von „Leiden erlöst“? Gewiß! Aber doch noch zu modificiren. Die ganze Sehnsucht eines an die Bedingungen Norddeutschlands gebundenen Herzens gieng bei Häring auf idyllisches „Am Land“-Wohnen. In seinen jungen Jahren suchte er einen ihm innewohnenden Trieb, irdische Hülfsquellen, die ihm zu Gebote standen, zu Speculationen und sogar im Sinn unserer heutigen neuen großstädtischen Gründer-Ideen zu verwenden, mit seiner Liebe zur Natur zu vereinigen. Wie mit Ironie auf seinen Namen suchte er unter den alten Eichen und in den Fischerhütten Häringsdorfs an der Ostsee den Besuch eines poetisch gelegenen Seebades zu fördern. Später gab er seine dortige Besitzung mit ihren nur relativen Schönheiten auf, und zog sich, seiner ganzen Kraft sich noch bewußt und mit literarischen Planen, deren einige auch dort noch ausgeführt wurden, nach Arnstadt, einer ohne Zweifel - ich kenne den altberühmten Ort nicht - reizend gelegenen Stadt, die schon manchen Dichter angezogen hat. Da erzählt man von Härings anmuthiger Besitzung, von seiner Liebe zur Natur selbst trotz seiner geschwächten Geisteskräfte. Wenn die Rosen blühten, sammelten liebliche junge Mädchen, Verwandte seiner Gattin, die sich schon entblätternden verblühten Blumen und bewarfen damit den im Rollstuhl Sitzenden. Anakreon wünschte sich solche Spiele mit der Jugend. Auch unser Dulder lachte herzlich. Ist ihm also das demokritische Antlitz der Photographie bis zuletzt geblieben, so rief ihn der Tod aus einer Welt die er bei alledem und alledem ungern verließ. Sein Lebensende war keineswegs das seines gekrönten Widersachers in Sanssouci, der ihm einst auf eine vertrauensvolle Uebersendung eines seiner „märkischen Romane“ oder bei einer sonstigen Annäherung, welche Huld und Güte voraussetzte, die bekanntgewordenen rauhen, verletzenden Worte entgegenherrschte: „er hätte sich von ihm in seiner politischen Haltung eines Bessern versehen.“ Auch Friedrich Wilhelm IV hatte das Loos gelähmt zu werden wie Dr. Häring. Aber jener bot ein Bild des Jammers, wenn er unter den Bäumen Sanssouci's, die den an Planen und Ideen überreichen genialen Kronprinzen einst unter sich hatten wandeln, zeichnen, malen, studieren sehen, gefahren wurde, und nichts mehr von der Welt erkannte. Häring ließ sich in seinem Rollsessel an seine Blumen fahren und pflegte diese.