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Eine Eisenbahn-Bibliothek

Auszug

Die Brockhaus’sche Buchhandlung in Leipzig versucht jetzt eine Eisenbahn-Bibliothek mit Originalien zu begründen. Man versteht darunter in Frankreich und England wohlfeile Bändchen, die theils die Eisenbahnroute, die man macht, erläutern, theils über ihre Langeweile, wenn sie nicht durch schöne Gegenden führt, hinweghelfen sollen durch eine anregende und erheiternde Lectüre. Ein Buch zu gleichem Zweck ist freilich in jedem Buchladen leicht erworben, indessen pflegt der Käufer bei der Fülle der Auswahl immer rathlos zu stehen; er hat es gern, daß ein Anderer schon vor ihm zu seinem Besten nachgedacht hat. Wohlfeilheit und ansprechendes Aeußere, besonders nicht zu kleine Lettern, die beim Rütteln der Waggons leicht ineinanderrinnen, werden dabei ebenso empfehlende Kennzeichen sein müssen wie die Namen beliebter Schriftsteller, die sogleich Jedem als eine Bürgschaft guter Unterhaltung angenehm und sich von selbst empfehlend ins Ohr klingen.

Die Richtung des Geschmacks ist freilich jetzt außerordentlich verschieden. Man erstaunt, wenn man zur Zeit der Messen oder der Badereisen mit zweiter oder dritter Classe einer Eisenbahn fährt und hört, welche Urtheile über Literatur gefällt werden, welche Schriftsteller beliebt sind, welche Witze belacht werden, welche dramatische Productionen gepriesen sind u. s. w. Das lustige Reich des „Kladderadatsch“ und der Herren Schulze und Müller ist so groß, daß man zuweilen versucht sein möchte, an einen totalen Stillstand in Sachen der Literatur zu glauben, einräumend, daß jene Production alles Uebrige verdrängt hat. Die Laune wird auch in dem unterhaltenden Theile einer solchen Eisenbahn-Bibliothek eine erste Rolle spielen müssen. Eine drollige Idee wird vorzugsweise fesseln und erst in zweiter Reihe werden die „Geschichten“ kommen dürfen, unter denen die von einer derben Thatsächlichkeit obenan zu stehen haben. Schließlich gehört dann noch zur vollkommenen Organisation einer solchen Eisenbahn-Bibliothek eine bequemere Verkaufsform als die unsers gewöhnlichen Buchhandels. Die Schaufenster in belebten Straßen thun es hier nicht allein. Es müßte möglich sein, diese Bibliothek auch, wie Hendschel’s „Telegraph“, auf den Eisenbahnstationen verkauft zu sehen.