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Ueber deutsche Publicistik.

Auszug

Man hört so oft daß die deutsche Litteratur der Gegenwart (die schöne und die philosophirende) hinter der classischen Periode des vorigen Jahrhunderts zurückbleibt, übersieht aber dabei die großartige Umgestaltung aller der Voraussetzungen, unter welchen sich jetzt noch das was man Litteratur nennt entwickelt. An die Stelle jener ästhetischen und moralischen Wahrheiten welche das verflossene Jahrhundert bewegten, sind in diesem historische und politische Wahrheiten getreten. Die Wirkung derselben in originellen Köpfen, die Offenbarung derselben in erwählten dichterischen und darstellenden Genien könnte jetzt, wie damals, dieselbe seyn wenn nicht eben dem Schriftsteller von heute versagt wäre seinen historisch-politischen Stoff in der ganzen individuellen Fülle in sich aufzunehmen, wie es die Schriftsteller von Damals mit ihrem unverfänglichen, ästhetisch-moralischen durften. Der deutsche Schriftsteller der Gegenwart hat das volle Gefühl seiner großen Aufgabe, erkennt die ganze Größe, den ganzen Umfang der Ansprüche die seine Mitwelt an ihn machen darf. Allein seine Bildung, sein Beruf, sein Ideal ist dasjenige nicht welches ihm unsere Nationalverhältnisse geltend zu machen erlauben. Im Auslande treten dem Schriftsteller diese Schwierigkeiten nirgends in den Weg. Der englische, der französische Publicist darf sich auf die Höhe nicht nur der abstracten, sondern auch der concreten Weltgeschichte stellen: wir Deutsche sind Kenner der fremden Litteraturen genug, um diese großartigen Entfaltungen zu beobachten, zu fühlen. Stellen wir nun die Vergleichung mit der Heimath an, so schrumpft alles was bei uns gleich, was bei uns identisch seyn sollte, zu einer nur ungefähren winzigen Aehnlichkeit zusammen. Man sagt wohl, wir hätten keine Talente wie z. B. Eugène Sue, aber die Wahrheit ist die, wir haben viel größere Talente, nur verbieten ihnen die Umstände sich zu so zeitgemäßen Interessen, wie jene, auszubeuten.