[Über Dramen Edward Lytton Bulwers]
Auszug
* Bulwers Lyoneserin ist ein gutes Bühnenstück mit einigen Albernheiten, zu denen besonders die Französischen Brocken des Dialogs in einem Stücke gehören, das in Frankreich spielt. Es ist fast so, als wenn Seydelmann den Ossip , einen Russen, in Rußland gebrochen Deutsch sprechen läßt. Die Vorstellung auf hiesigem Stadttheater spielt gut ineinander, obgleich die beiden Hauptpersonen, Pauline und Melnotte viel zu wünschen übrig lassen. Herr Baumeister giebt seinen Helden mit vieler Liebe und einem ihm immer schön stehenden Eifer wieder, aber feines, durchdachtes Spiel, geistreiche Nüancirung ist seine Sache nicht. Er versah es in sehr wichtigen Momenten gänzlich mit den Modulationen seiner Stimme; wo gleich im ersten Akte der Brief zurückkommt , mußte er am allerwenigsten den tragischen pathetischen Ton: O Du Schändliche! u. s. w. anwenden, um so weniger, als der Bote ihm sagt: Du bist traurig? Herr Baumeister war aber nicht traurig, sondern wüthend. Überhaupt hinkoisirte Herr Baumeister ein wenig. Die Stellen, wo er an die militairische Carrière dachte, mußten immer mit Sinnen und Grübeln vorgetragen werden; wenn Damas davon sprach, mußte Melnotte wie aus Träumen auffahren und gleichsam an ein Geheimniß, das er im Stillen bei sich trug, erinnert werden. Die spätern Stellen gelangen besser, da in ihnen der Affekt vorwaltete. Dem. Enghaus giebt die Lyoneserin nicht vornehm und stolz genug; sie schwimmt gar zu leicht mit ihrem Gefühl davon, das weit seltner hervorzubrechen hat. Im Original bei Bulwer ist der Contrast beider Empfindungen auch schroffer gehalten; wir glauben fast, daß im 3ten Akte, sehr mit Unrecht, Manches vom Bearbeiter gemildert worden ist. Den Moment, wo Pauline klar sieht und sie sagt: Das also ist das Schloß am Comersee? u. s. w. wußte Dem. Enghaus nicht auszubeuten. Sie fand hier den Ton nicht, der die Verzweiflung und die Entrüstung ausdrückte; er lag grade eine Octave höher, als der, den Dem. Enghaus anschlug. Die Stimme mußte das höchste Register anziehen, das Tragödienregister des 5ten Aktes, die Scala der schreienden Verzweiflung; was sie gab, war matt und leblos. Die spätern empfindenden und thränennassen Stellen gelangen besser, ob wir gleich die junge Dame fragen möchten, ob sie denn keinen Freund auf der weiten Welt Gottes hat, keinen ergebenen Diener ihres Talentes, keinen, der es ehrlich mit ihr meint und ihr es beibringt, statt Lieba zu sagen: Liebe , statt Reua , Reue u. s. w. So kneifen Sie doch, junge Dame, den Mund ein, wenn Sie ein E zu sprechen haben und legen Sie sich förmlich ein Gebiß an, bis Sie es können. Hat Demosthenes nicht Steine in den Mund genommen, um das R und Jerrmann nicht Kalbsknöchel, um Französisch sprechen zu lernen? Der Ruf, eine erste tragische Liebhaberin zu seyn, muß durch Mühe und Fleiß errungen werden, wenn das Genie fehlt. Herr Fehringer hatte wieder seinen ungrammatikalischen Tag. Er sagte: ihm kämen die Thränen in den Augen. Uns kamen sie darüber in die Augen.
* Wenn eine spannend angelegte Handlung, überraschende Aktschlüsse, klar gezeichnete Charaktere und ein geläufiger Dialog die Erfordernisse eines guten Theaterstückes sind, so verdient Eugen Aram von Rellstab ( gegenwärtig auf dem Hamburger Repertoir ) eine freundliche Erwähnung. Die innere psychologische Motivirung des Stoffes mag Bulwer verantworten , dem Rellstab zum größten Theil das Material entnommen hat. Herr Baison giebt die Titelrolle mit denkendem Ernst und mit einem glücklichen Anflug von Melancholie , ganz geschaffen, die Zuhörer in einer wehmüthig gespannten Theilnahme zu erhalten. Von den übrigen Rollen ist keine eigentlich brillant, d. h. dem Talente der Darsteller einen weiten Spielraum lassend; doch ist jede in den geeignetsten Händen und wird mit rühmlicher Sorgfalt ausgeführt.